Themenstrang: »Gesellschaft«
Referent_in: Fiona Kalkstein
Tag/Zeit: Donnerstag, 15.9.2016, 13:30–15:30 Uhr
Parallelen und Differenzen zur Kritischen Psychologie am Beispiel der Untersuchung weiblicher Biographien
In meiner Dissertation gehe ich der Frage nach biographischer Handlungsfähigkeit in den Lebensgeschichten von Frauen aus proletarischen Milieus nach. Dabei ist die Frage nach Verschränkungen von Klasse, Geschlecht und anderen Differenzkategorien zentral (sowohl auf struktureller als auch auf individueller Ebene). In diesem Workshop möchte ich mit Ihnen/euch gemeinsam den Blick auf alternative Konzeptionen von Handlungsfähigkeit (agency) lenken, und diese mit Denkfiguren der Kritischen Psychologie vergleichen. Dies soll anhand von empirischen Material geschehen.
Während Kritische Psychologie Handlungsfähigkeit als Verfügung über die eigenen Lebensbedingungen begreift, und zwar in kollektiver gesellschaftlicher Teilhabe (verallgemeinerte Variante) oder unter den herrschenden Bedingungen (restriktive Variante), bietet Straub die simple Antwort an: Handlungsfähig ist, wer handeln kann. D.h. wer nicht ohnmächtig äußeren Widerfahrnissen gegenüber steht bzw. reflexartig auf Reize reagiert. Straub macht die Erlebensseite stark und rückt somit die Frage ins Zentrum, wieso sich Subjekte mit objektiven Handlungsmöglichkeiten trotzdem subjektiv als ohnmächtig erleben können. Um Handlungsfähigkeit kann gerungen werden: In sozialen Beziehungen, in der politische Arbeit oder zum Beispiel in Aushandlungen mit der traditionellen Mutterrolle. Die Flexibilität, die Straub in seiner Handlungstheorie anbietet wird an jener Stelle zum Manko, an der ich nach dem Zusammenhang von Struktur und Handlung, von Individuum und Gesellschaft fragen möchte. Es muss auf Theorien zum Verhältnis von Struktur und Handlung zurück gegriffen werden. Hierfür wird die Theorie der Strukturierung des Soziologen Anthony Giddens vorgestellt. Giddens entwirft eine (Handlungs-)Theorie der Produktion, Reproduktion und Organisation sozialer Systeme, in der er sowohl individualistischen Verkürzungen entgegentritt, die Akteurinnen außerhalb von gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnissen denken, als auch strukturalistisch-funktionalistischen Verkürzungen, die Handeln einseitig aus Strukturen ableiten und entsprechend Subjektivität als mehr oder weniger strukturell determiniertes Produkt fassen. Hier lassen sich durchaus Parallelen zur Kritischen Psychologie finden, jedoch ist der marxistische Bezug nicht so elementar. Dies ist für die intersektionale Perspektive meiner Arbeit von Vorteil.
Der Workshop ist diskussionsorientiert. Wenn Zeit bleibt, können Vor- und Nachteile konkret anhand von empirischem Material erörtert werden. Vorwissen in Bezug auf die Kritische Psychologie ist nicht zwingend notwendig, aber von Vorteil, da ich die Annahmen der Kritische Psychologie nicht mehr im Einzelnen darstellen werde.