Zum Motto der Ferienuni Kritische Psychologie 2016
Die Sentenz, etwas vom „Kopf auf die Füße“ zu stellen, geht auf eine Bemerkung von Karl Marx in einem Nachwort zum ersten Band des Kapital zurück. Er setzt sich dort mit der „dialektischen Methode“ auseinander, womit er sich auf die Hegelsche Dialektik bezieht. Marx vermittelt zwei Botschaften: Erstens nennt er sich einen „Schüler jenes großen Denkers“ in einer Zeit, als das „gebildete Deutschland“ Hegel behandelt wie einen „toten Hund“. Zweitens kritisiert er die Dialektik Hegels als „auf dem Kopf“ stehend, womit Marx meint, dass für „Hegel … der Denkprozess … Demiurg [Schöpfer] des Wirklichen“ sei, während bei ihm „das Ideelle nichts andres als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle“ sei. Kurz: Hegel hat zwar methodologisch viel auf der Pfanne, aber er sei Idealist, gehe also vom Denken aus, während er, Marx, als Materialist die Wirklichkeit als Ausgangspunkt nähme.
Warum ist diese Auseinandersetzung für die Kritische Psychologie relevant? Weil Marx hier das Verhältnis von Denken und Wirklichem im Erkenntnisprozess, oder anders gesagt: von Begriffen und zu Begreifendem oder von Theorie und Praxis diskutiert. Um sich von Hegel abzuheben, bringt Marx hier allerdings Denken und Wirkliches in einen Gegensatz, der so nicht besteht. Im schlichten Ableitungssinne schöpft weder das Denken als Solches das Wirkliche, noch sind die Gedanken bloß im Menschenkopf übersetztes Materielles. Sondern beides sind Momente eines zu begreifenden Zusammenhangs: Wir schöpfen denkend und handfest das Wirkliche, das wiederum die Voraussetzungen des Denkens darstellt. Keine Handlung ohne denkende Interpretation der Bedingungen, die jedoch keine bloße Einbildungen sind, sondern objektiv, wirklich existieren, weil wir sie geschaffen haben.
Für Klaus Holzkamp ist Denken eine maßgebliche psychische Qualität des gesellschaftlichen Menschen, denn sie strukturiert die Wahrnehmung. Wir denken durch Begriffe hindurch und richten danach unsere Praxis aus. Gleichzeitig schaffen wir in dieser Praxis unser Denken. Dass dies unter kapitalistischen Verhältnissen in widersprüchlicher Weise geschieht, hat Holzkamp mit dem Begriffspaar des Deutens vs. Begreifens gefasst: Deuten als das Erfassen des „unmittelbar Evidenten“ der „erscheinenden Oberfläche“ und Begreifen als das tiefere, kritische Eindringen in den Gegenstand des Erkennens, als die Einnahme eines neues Standpunkts, der das Gedeutete als relative Wahrheit einzuordnen vermag. Holzkamp macht deutlich, dass Denken und Handeln keinen Gegensatz darstellen – wie übrigens auch Denken und Emotionen nicht –, sondern im Prozess zusammenfallen, also identisch sind. Identität wird hier jedoch dialektisch verstanden, also nicht als plattes ineinander Auflösen, womit bloßes Denken schon zum Handeln würde, sondern verstanden als ein untrennbarer Prozess mit zwei Momenten, die wir analytisch unterscheiden können. Unterscheiden, aber nicht trennen!
So können wir auch das Motto der Ferienuni verstehen: Der Kopf und die Füße nicht als Gegensatz, nicht als Denken oder Handeln, Theorie oder Praxis, sondern als Aufforderung beides im wirklichen Lebensprozess zusammenzubringen: von Denken ins Handeln kommen, von der theoretischen Reflexion in die Praxis, vom Kopf auf die Füße – und umgekehrt!