Themenstrang: »Praxis«
Referent_innen: Tabea Bernges, Leonie Knebel
Tag/Zeit: Dienstag, 13.9.2016, 19:00–21:00 Uhr
Zunächst skizziert Leonie Knebel, wie eine kritische Psychotherapie bisher gedacht wurde und in Zukunft weitergedacht werden könnte. Während innerhalb der Kritischen Psychologie in den 1970ern kritische Therapieansätze entwickelt wurden, stand ab Mitte der 1980er die Kritik an psychotherapeutischen Ansätzen als Anpassungstechnik, Herrschaftswissen und Therapeutisierung im Psychoboom im Vordergrund.
Die Einbeziehung gesellschaftliche Lebensbedingungen spielt in den modernen Verhaltens-, Gesprächs-, Gestalttherapien sowie in psychoanalytischen und systemischen Therapien eine untergeordnete und vernachlässigte Rolle. Alle gegenwärtigen psychotherapeutischen Ansätze sind hingegen in gewisser Weise subjektwissenschaftlich, da sie das Erleben, die Erfahrungen, Handlungen und Wünsche der Subjekte in ihrer Lebenswelt zum Ausgangspunkt für ihre Analysen und Interventionen machen, da sie anders als im Forschungssetting nicht davon abstrahieren können, wenn Leiden reduziert oder geheilt werden soll. Welche Aufgabe eine kritisch-intendierte Psychotherapie darüber hinaus hat, soll an einem Fallbeispiel aus der integrativ-verhaltenstherapeutischen Praxis veranschaulicht werden.
Tabea Bernges stellt anschließend die Arbeit der studentischen psychologischen Beratung des AStAs der Uni Hamburg vor. In hochschulischen Kontexten tragen die aktuellen (Studien)Bedingungen unter anderem dazu bei, dass laut CampusKompass der TK fast die Hälfte der Studierenden sich durch Stress erschöpft fühlt. Dies hängt damit zusammen, dass im Rahmen des Bachelor-Master-Prozesses strukturelle und inhaltliche Handlungsspielräume Studierender stark eingeschränkt wurden.
Leistungsdruck im Studium ist beispielsweise ein Thema, das in der Beratung häufig vorkommt. Die Kritische Psychologie sieht die „Ausgeliefertheit an aktuelle Situationen, die Unmöglichkeit, Einfluß auf meine eigene Lebensperspektive zu gewinnen“ als das zentrale Moment der Beeinträchtigung der eigenen Subjektivität. Damit ist die Überwindung dieser Ausgeliefertheit „die zentrale perspektivische Entwicklung meiner individuellen Lebensqualität.“ (Holzkamp 1985[1]). Statt von der Unzulänglichkeit des Individuums (und Selbstoptimierungsangeboten als „Lösung“) auszugehen, müssen die Probleme verursachenden Strukturen in der Beratung mitgedacht und die „je eigenen“ Möglichkeiten der Ratsuchenden, ihre Handlungsfähigkeit zu erweitern, ausgelotet werden.
Wie sich psychologische Therapie, Beratung und politische Praxis zueinander verhalten kann u.a. im Anschluss diskutiert werden.
[1] http://www.kritische-psychologie.de/1985/grundkonzepte-der-kritischen-psychologie