Themenstrang: »Gesellschaft«
Referent_innen: Klaus Weber, Stephan Schleim
Tag/Zeit: Donnerstag, 15.9.2016, 10:00–12:00 Uhr
In dieser Diskussionsveranstaltung wird es darum gehen, ob und wenn ja wie Konzentrationslager kritisch-psychologisch beforscht werden sollten. Hierzu werden Stephan Schleim und Klaus Weber-Teuber jeweils zunächst Essay-artig ihre Thesen vorstellen und anschließend diskutieren.
Stephan Schleim: Zur Psychologie von Dachau: Eine Einladung zum Mitdenken
Über die Gräueltaten des Nationalsozialismus wurde oft gefragt: Wie können Menschen anderen so etwas antun? (Man denke an Hannah Ahrendts Idee von der „Banalität des Bösen“.) Psychologisch ist aber auch die Frage faszinierend, wie so wenige Menschen so viele unter Kontrolle halten konnten, sowohl in der Gesellschaft insgesamt als auch in den Konzentrationslagern. Deutschland war immerhin im Krieg, der immer mehr Kämpfer erforderte. Dennoch konnten rund 40.000 Angehörige der KZ-Wachmannschaften in den letzten beiden Kriegsjahren immerhin 400.000-500.000 permanente Häftlinge bewachen und dazu noch den millionenfachen Mord in Vernichtungslagern wie Auschwitz durchführen. Dabei kam es kaum zu nennenswerten Aufständen. Meine These ist, dass neben der industriell-bürokratischen Organisation von Gefangenschaft und Mord auch die Psychologie der Konzentrationslager eine entscheidende Rolle spielte – und zwar auf Seite der Wächter ebenso wie auf Seite der Häftlinge. Das KZ Dachau bei München ist hierfür ein wichtiges Beispiel, da es das erste und der Prototyp aller späteren Konzentrationslager war. Für Interessierte von heute bietet sich hier die Möglichkeit, mehr über das Verhalten von Gruppen unter Extrembedingungen zu erfahren. Dieses Wissen ist vielleicht auch, wenn auf anderem Niveau, in Zeiten von Krisen und politischem Radikalismus von Bedeutung. Davon abgesehen dürfen wir die Taten von damals nicht vergessen. Ohne Anspruch auf historische Vollständigkeit möchte ich meine Befunde auf kreative Weise mit-teilen und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zum Mitdenken einladen.
Klaus Weber-Teuber: KZs haben keine Psyche
Erklärungen, wie es die deutschen Täter schaffen konnten, mit wenig Personalaufwand eine gigantische Vernichtungspraxis zu organisieren; Überlegungen dazu, wieso manche Häftlinge überlebt haben und manche nicht (Bettelheim, Frankl); Fragen & Antworten zu den Täterstrukturen uvm.: Jede dieser Fragestellungen impliziert einen Standpunkt, von dem aus auf Opfer und Täter geblickt wird. In der Regel jedoch nicht den einzig möglichen Standpunkt: Aus der Sicht derer, die zur Vernichtung „bestimmt“ waren, macht Psychologisieren absolut keinen Sinn.