Themenstrang: »Praxis«
Referent_innen: Moritz Thede Eckart, Hans-Peter Michels, Vanessa Lux
Tag/Zeit: Freitag, 16.9.2016, 13:30–15:30 Uhr
Moritz Thede Eckart: S-O-R-[K]-C-Schema
Das S-O-R-[K]-C-Schema (Stimulus-Organismus-Reaktion-Kontingenz-Konsequenz) ist eine der verbreiteten Methoden zur Problemanalyse in der Verhaltenstherapie: in Deutschland ist dieses Schema beispielsweise in der Antragsstellung auf Genehmigung einer ambulanten verhaltenstherapeutischen Psychotherapie in der Regel ein zentrales Moment. Ziel der Anwendung des Schemas ist es, Beschwerden von Betroffenen zu erfassen, aufrechterhaltende Bedingungen zu identifizieren und hieraus Interventionen abzuleiten.
Ziel des Vortrags ist es, Möglichkeiten aufzuzeigen, die in diesem Schema verwendeten deterministischen und probabilistischen Wenn-Dann Beziehungen im Sinne der Kritischen Psychologie als Begründungsmuster von einem subjektiven Standpunkt aus zu reinterpretieren. Hierzu wird das S-O-R-[K]-C-Schema anhand eines Fallbeispiels durchdekliniert und ein erster Vorschlag für einen möglichen kritisch-psychologischen Gegenentwurf vorgestellt. Den Hauptbezugspunkt dieser Re-Interpretation bildet die Lerntheorie von Holzkamp.
Hans-Peter Michels: „Psychische Störungen“ – eine Analyse der Universalisierung eines Diagnosekonzeptes
Im Jahre 1980 wurde mit dem US-amerikanischen „Diagnostischen und statistischen Manual psychischer Störungen (DSM-III)“ eine symptomatologische Definition psychischen Leidens eingeführt. In Konsensrunden sind seitdem zahlreiche voneinander getrennte Kategorien von psychischen Störungen mittels Auflistung von Symptomen und Kriterien erstellt worden. Auf dieser Vorgehensweise basiert sowohl die aktuelle Version DSM-5 als auch das Kapitel „Psychische und Verhaltensstörungen“ der ICD-10.
Die Diagnosekategorien sind so gestaltet, dass Störungen als rein individuelle begriffen und die gesellschaftlichen Bedingungen psychischen Leidens ausgeblendet werden. Obwohl nach 2010 die Kritik an diesen Kategorien immer schärfer wurde – man sprach sogar von Silos, die Denken und Forschung behindern – werden sie in Psychotherapie sowie Psychiatrie immer noch zum diagnostischen Standard erklärt.
Vanessa Lux: „Die Gene sind es nicht… aber was dann?“
Der ausbleibende Erfolg, Gene für psychische Störungen zu lokalisieren, und der Bruch mit dem einfachen Gen-Determinismus des zentralen Dogmas in der genetischen Grundlagenforschung hat auch zu einem Perspektivwechsel in der psychiatrischen Genetik geführt. Nicht nur wird ein eindeutiger ursächlicher Zusammenhang zwischen DNA-Sequenz-Variationen und psychischen Störungen immer mehr in Frage gestellt. Auch werden die Klassifikationssysteme psychischer Störungen zunehmend problematisiert. Stattdessen wird von Gen-Umwelt-Wechselwirkungen, Endophänotypen und Epigenetik gesprochen. Der Beitrag stellt diese Entwicklungen vor und diskutiert, inwieweit sie ihrem Anspruch, den genetischen Determinismus zu überwinden, gerecht werden.