Hirnforschung, Neoliberalismus und Individualisierung
Oft wird angeführt, mit der Hirnforschung als Neurotechnologie oder psychopharmakologischer Intervention das Leben zu verbessern. Das mag bei neurologischen Erkrankungen unstrittig sein. Wie ist das aber bei psychischen Problemen, deren Ursachen unklar sind? Oder bei gesellschaftlichen Trends wie dem sogenannten Cognitive- oder Neuro-Enhancement? Die Problemlösungen, die uns die Hirnforschung anbietet, zielen – gewollt oder ungewollt – aufs Gehirn eines Menschen und damit auf das Individuum. Das birgt die Gefahr einer Dekontextualisierung, Depolitisierung und Individualisierung menschlicher und gesellschaftlicher Probleme. Damit spielen Lösungen aus der Hirnforschung – gewollt oder ungewollt – auch einer neoliberalen Ideologie in die Hände, die gesellschaftliche Faktoren ausblendet und Individuen verantwortlich macht.
In meinem Vortrag gehe ich darauf ein, wie der Dialog zur Verbesserung des Menschen in der ethischen Debatte formuliert wird („framing“). Außerdem bespreche ich detailliert aktuelle Trends des Psychopharmakakonsums. In der Diskussion werden wir uns aber auch mit der Frage beschäftigen müssen, inwiefern sich Psychotherapie und Coaching davon unterscheiden.
Texte zur Vorbereitung:
Schleim, S. (2015). Kapitalismus und psychische Gesundheit. Telepolis.
Schleim, S. (2014). Whose well-being? Common conceptions and misconceptions in the enhancement debate. Frontiers in Systems Neuroscience, 8, 148.