Es wird die These begründet, dass Holzkamp mit dem Selbstverständigungsbegriff und der Forschungsperspektive vom Subjektstandpunkt zwei wichtige Beiträge für eine theoretische Begründung rekonstruktiver pädagogischer Beratung leistet. Das ist erstens ein theoretischer Rahmen für den Zusammenhang individueller Handlungsbegründungen und gesellschaftlicher Bedeutungsstrukturen, der es erlaubt, auch Selbstverständigungsprozesse in widersprüchlichen gesellschaftlichen Verhältnissen zu rekonstruieren. Dies ist zweitens eine Forschungs- und Interpretationsperspektive, die den Subjektstandpunkt als Standpunkt der Interpretation von Welt einnimmt. Vom Subjektstandpunkt aus werden die Lebensinteressen und Teilhabewünsche der Menschen verstehbar. Deshalb ist der Subjektstandpunkt für pädagogisches Beratungshandeln, das die Anliegen der Ratsuchenden zum Ausgangspunkt macht, eine nicht zu unterschreitende Interpretationsperspektive. Der pädagogische Außenstandpunkt, der sich (aufklärerisch oder anpassendfunktional) immer fordernd auf die teilnehmenden Subjekte bezieht, wird um den Subjektstandpunkt ergänzt, von dem aus die Lebensinteressen der Teilnehmenden/ Ratsuchenden in Relation zu den gesellschaftlich gegebenen Möglichkeiten und Grenzen in den Mittelpunkt rücken.
Beratung unterscheidet sich grundsätzlich von anderen pädagogischen Handlungsformen wie Unterrichten oder Lehren, weil der pädagogische Vermittlungsprozess seinen Ausgangspunkt in den Lebensinteressen und Anliegen der Ratsuchenden nimmt und nicht in den Zielen der Pädagogen. Die besonderen Herausforderungen dieses pädagogischen Handelns liegen im Spannungsverhältnis von Lernunterstützung einerseits und Sicherstellung der Lernerautonomie andererseits – beim Versuch, sich selbst in der Gesellschaft neu zu verständigen. Mit anderen Worten: Die eigenen Bedeutungs-Begründungszusammenhänge neu zu differenzieren und zu erweitern. Welche gesellschaftlichen Bedeutungen dabei für den einzelnen Menschen zugänglich sind, hängt wesentlich von der sozialen Position und der individuellen Lebenslage der Menschen ab.
Der rekonstruktive Beratungsprozess hat sich somit sowohl auf die Vermitteltheit der individuellen Bedeutungen im Beratungsfall mit den manifesten und latenten standortspezifisch zugänglichen Bedeutungsstrukturen zu fokussieren als auch auf die »nochnicht « realisierten gesellschaftlichen Bedeutungsstrukturen, die weitere Handlungsoptionen versprechen.